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Kreativtechnik Brainstorming - mal richtig machen

Das gute alte Brainstorming ist etwas aus der Mode geraten und wird häufig als wenig effektiv abgestempelt. In diesem Artikel möchte ich eine Lanze für diese Methode brechen, denn meiner Meinung nach ist es eine sehr wirksame Kreativtechnik, insbesondere um die Schwarmintelligenz von Gruppen zu nutzen.

Eine Gruppe von Menschen trifft sich zu einem Brainstorming

Aber warum ist das Brainstorming so in Verruf geraten?


  1. Es ist nicht besonders hip.

  2. Es wird häufig falsch durchgeführt.

An der Hipsterqualität können wir nichts ändern, aber wir können die Durchführung ändern.


Spielen wir mal als Negativbeispiel eine typische Brainstorming-Situation in einem klassischen Unternehmen durch. Also: Der Chef trommelt seine Vertriebsmannschaft zusammen, mit den Worten: “Jetzt brauchen wir aber mal eine gute kreative Idee für die Neukundenakquise. Wenn wir nicht bald 10 neue Großkunden ziehen, kann ich den Laden hier dicht machen”. Also ab ins Brainstorming-Meeting. Alle sitzen am Tisch, keiner sagt was. Der Chef: “Na los Leute, lasst euch was einfallen.” Mitarbeiterin Müller: “Wir könnten eine Direktmarketing-Aktion mit Päckchen….” Chef: “Ach nee, das ist doch nichts Neues. Es muss was Neues her!” Ein Mitarbeiter: “Wir könnten eine Rakete mit unserer Message in die Luft schießen”. Chef: “Och Mensch Müller, das ist doch völlig unrealistisch”. Das geht noch mehrere Stunden so. Raus kommt nichts, außer genervte Mitarbeiter und ein verzweifelter Chef.


Wie könnten wir es besser machen?

In Unternehmen mit flachen Hierarchien und einer Kommunikation auf Augenhöhe, wäre es kein Problem, wenn Vorgesetzte mit am Tisch sitzen. Häufig ist es jedoch besser, wenn sie dem Brainstorming-Meeting fernbleiben. Vielen Mitarbeitern ist es unangenehm, wenn jemand dabei ist, der ihre “Leistung” bewerten könnte und sind somit in ihrer Kreativität gehemmt. Wenn wir jedoch den kreativen Sprung hinbekommen möchten, dann benötigen wir eine komplett wertungsfreie Atmosphäre. Mehr zum kreativen Sprung und dem Hintergrund von Kreativtechniken erfährst Du im Artikel “Warum Kreativtechniken Sinn ergeben.”


Wir sollten Mitarbeiter vor dem Meeting nicht unnötig unter Druck setzen, wie “jetzt brauchen wir eine Idee, sonst können wir den Laden dicht machen”. Wir setzen damit Ängste frei, wie einen eventuellen Arbeitsplatzverlust. Wie sollen Mitarbeiter Ideen entwickeln, wenn sie gleichzeitig ein Szenario vor Augen haben, indem sie beispielsweise die Raten für ihr Haus nicht mehr zahlen können?

Wir müssen eine möglichst lockere Atmosphäre schaffen und dann geht es los, allerdings nach festen Regeln:


Was benötigen wir für das Brainstorming?


  • Eine Gruppe mit vier bis acht, maximal zwölf Teilnehmern.

  • Eine Moderator:in, die auf die Einhaltung der Grundregeln achtet und die Vorschläge protokolliert.


Die Moderator:in wird entweder festgelegt oder von der Gruppe gewählt. Sie selbst darf am Kreativprozess nicht teilnehmen, also keine eigenen Ideen entwickeln. Sie protokolliert die Ideen und, ihre wichtigste Aufgabe, sie überwacht die strengen Regeln, die wie folgt lauten:


Brainstorming - Die vier Grundregeln


  • Kritik ist absolut untersagt! Kein Vorschlag darf beurteilt werden, ehe nicht alle Vorschläge geäußert worden sind.

  • Wilde Ideen sind willkommen. Der Grund: Es ist leichter, Ideen abzuschwächen, als sie zu entwickeln.

  • Die Teilnehmer sollen so viele Vorschläge wie möglich entwickeln. Quantität geht vor Qualität.

  • Die Ideen anderer Teilnehmer dürfen und sollen aufgegriffen und weiterentwickelt werden.


Die Rolle der Moderator:in


Eine gute Moderator:in kann ganz entscheidend zum Gelingen des Brainstormings beitragen. Sie darf sich nicht einmischen, in den Vordergrund spielen und auf keinen Fall selbst Vorschläge machen. Ihre Aufgabe besteht darin,


  • für eine vertrauensvolle Atmosphäre zu sorgen,

  • alle Teilnehmer zu ermutigen, sich zu beteiligen,

  • auf die Einhaltung der Regeln zu achten (vor allem darauf, dass niemand die Vorschläge bewertet),

  • alle Vorschläge aufzuzeichnen, ohne Kommentar und ohne sie abzuändern,

  • die Bewertung zu leiten, ohne selbst Stellung zu beziehen,

  • dafür zu sorgen, dass die Bewertung sachlich verläuft.


Sollten sich Teilnehmer nicht an die Regeln halten, kann die Moderator:in diese vom Meeting ausschließen.

Zwei Tipps dazu:


  • Teilnehmer, die das erste Mal gegen eine Regel verstoßen erhalten die gelbe Karte. Erst beim zweiten Regelverstoß erhalten sie die rote Karte.

  • Alle Teilnehmer sollten sich schon im Vorfeld damit einverstanden erklären, dass die Entscheidung der Moderator:in absolut bindend ist und nicht mehr hinterfragt wird.


Warum sind solch strenge Regeln innerhalb eines kreativen Prozesses notwendig? Weil wir diese Ziele verfolgen:


Phase 1 - Die bedingungslose Kreativität - alles ist möglich

Wir möchten so viele Ideen wie möglich erhalten, egal wie abgefahren oder unrealistisch sie auch sein mögen. Egal wie konservativ oder innovativ. Nicht ohne Grund geht in dieser Phase Quantität vor Qualität, denn wir wagen jetzt den kreativen Sprung, bei dem wir uns von unseren bestehenden Denkmustern verabschieden. Alles ist möglich und egal wie verrückt wir jetzt sind - niemand darf uns kritisieren.


Der kreative Sprung ist die Basis aller Kreativtechniken
Der kreative Sprung ist die Basis aller Kreativtechniken.

Jetzt kommt die 2. Phase und die bedeutet harte Arbeit. Die 2. Phase möchte ich an einem Beispiel kurz anreißen. Ein Online Fahrradhandel möchte mit Aktionen auf sich aufmerksam machen. Eine Idee war, jede Woche ein altes oder minderwertiges Fahrrad in die Schrottpresse zu schicken und dafür ein neues Fahrrad zu verlosen. Die Idee verstößt jedoch gegen den Nachhaltigkeitsgedanken. Können wir aus dieser Idee vielleicht doch noch was machen? Könnten wir ein Kunstprojekt mit alten Fahrrädern auf die Beine stellen oder vielleicht, statt alte Fahrräder zu entsorgen, ihnen einen neuen Nutzen geben? Die erste Idee ist somit die Inspirationsquelle für neue Ideen, die u.U. realistischer sind, auf die wir aber wahrscheinlich nie gekommen wären, hätte wir die Grundidee einfach vom Tisch gewischt.


Phase 2 - jede Idee wird bis ins kleinste Detail betrachtet


Jede Idee wird einzeln in der Osborn-Checkliste durchgearbeitet:


Die Osborn-Checkliste


  • Anders verwenden! – Gibt es eine andere Gebrauchsmöglichkeit dafür? Kann die Idee woanders eingesetzt werden?

  • Anpassen! – Was ähnelt dieser Idee? Gibt es Parallelen? Was könnte nachgeahmt werden?

  • Ändern! – Kann Bedeutung, Farbe, Bewegung, Größe, Form, Klang, Geruch etc. verändert werden?

  • Vergrößern! – Größer machen? Etwas hinzufügen? Die Häufigkeit erhöhen? Die Stärke? Die Höhe? Die Länge? Den Wert? Den Abstand? Vervielfältigen? Übertreiben? Vergröbern?

  • Verkleinern! – Kleiner machen? Etwas wegnehmen? Tiefer machen? Kürzer? Dünner? Leichter? Heller? Feiner? Aufspalten? Als Miniatur verwenden?

  • Ersetzen! – Was kann an der Idee ausgetauscht werden? Lässt sich der Prozess anders gestalten? Gibt es andere Positionen? Tonlagen? Elemente aus anderen Ländern oder Zeiten?

  • Umstellen! –Teile, Abschnitte austauschen? Lässt sich die Reihenfolge ändern? Ursache und Wirkung umdrehen?

  • Umkehren! –Das Gegenteil aus der Idee machen? Wie sieht die Idee spiegelverkehrt aus? Lassen sich Rollen tauschen? Lässt sich die Idee um 180° drehen?

  • Kombinieren! – Die Idee mit anderen verbinden? Lässt sie sich in ein größeres Ganzes einfügen? In Bausteine zerlegen?

  • Transformieren! – Durchlöchern, zusammenballen, ausdehnen? Härten? Verflüssigen? Durchsichtig machen?

Umwandlungsprozess von Ideen
Das Umwandeln und Ändern von völlig abgehobenen Einfällen hin zur Realität, ist das Erfolgsrezept guter Ideen

Wer bisher noch nicht wusste, wie viel harte Arbeit hinter einem Brainstorming-Meeting steckt, der weiß es spätestens jetzt.


Phase 3 - Die Bewertungsphase

Einige Ideen müssen vielleicht eliminiert werden, da sie auch mit Hilfe der Osborn-Checkliste nicht umsetzbar sind. Wir müssen nun die noch bestehenden Ideen bewerten. Sind sie zielführend, sind sie realistisch umsetzbar, welche Ideen präferieren wir? Wir befinden uns nun in der Kritik- und Selektionsphase. Auch hier muss die Moderator:in sehr aufmerksam sein, denn in dieser Phase können sich leicht hitzige Auseinandersetzungen zusammenbrauen. Es muss auf eine sachliche Kommunikation und Argumentation geachtet werden.


In der Bewertungsphase werden Ideen gewichtet.
In der Bewertungsphase von Ideen ist die soziale Kompetenz der Teilnehmer gefragt

Die Dauer der einzelnen Phasen

Es gibt für die Dauer der einzelnen Phasen keine zwingenden Vorgaben.


Dauer der Phase 1

Wenn in Phase 1 die kreativen Ideen nur so sprudeln, dann wird niemand abbrechen wollen. Häufig entsteht nach 5 bis 10 Minuten eine kreative Pause. Hier ist die Moderator:in gefragt, das Meeting am Laufen zu halten oder einfach mal kurz die Stille auszuhalten, denn die Teilnehmer müssen sich regenerieren und danach kommen meist noch sehr gute Einfälle. Die Phase 1 sollte mindestens 20 Minuten lang dauern, aber auch gerne länger.


Dauer der Phase 2

In der Regel ist dies die Phase mit der längsten Zeitdauer und dem höchsten Arbeitsaufwand. Es ist immer noch die Kreativphase in der nicht bewertet wird, sondern bestehende Ideen mit Hilfe der Osborn-Liste weiterentwickelt oder “umgedacht” werden. Je nach Themenkomplex kann die Dauer sehr unterschiedlich sein. Von einer bis zu mehreren Stunden.


Pause

Nach Phase 2 sollte eine längere Pause eingelegt werden. Die Teilnehmer dürfen sich innerhalb der Pause nicht mit dem Projekt auseinandersetzen, damit sie Abstand zu ihren Ideen gewinnen, um sie danach so neutral wie möglich zu bewerten. Die Pause sollte mindesten eine Stunde betragen. Häufig wird die Bewertungsphase auch erst am Folgetag durchgeführt.


Dauer der Bewertungsphase

Auch in dieser Phase sollten sich die Teilnehmer Zeit lassen, denn häufig besteht in dieser Phase Diskussionsbedarf. Hier kann die Dauer ebenfalls von einer bis zu mehreren Stunden reichen.


Richtig angewendet kann das Brainstorming als Kreativtechnik sehr effektiv sein und zu einer Menge erfolgsorientierter Ideen führen. Allerdings ist es kein, wie oft angenommener, entspannter Kaffeeklatsch, sondern wie alle erfolgsorientierten Kreativtechniken, ein Prozess harter Arbeit, für den entsprechend viel Zeit kalkuliert werden sollte.

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